„Die Welt beugt sich vor Säbelrasslern“ // Was sie über den Anschluss Österreichs 1938 schrieben und sagten


Deutschland hat Österreich vor 85 Jahren besetzt. Viele Österreicher begrüßten Hitler begeistert. Eine Chronik der Ereignisse, Zitate aus Weltmedien, Erinnerungen von Augenzeugen und Politikern sind in der dem-Auswahl enthalten.

Februar: Vorbereitung auf den Beitritt

Nach den Ergebnissen des Ersten Weltkriegs unterzeichneten die Länder die Friedensverträge von Versailles und Saint-Germain. Demnach sollten Deutschland und Österreich trotz gleicher Sprache, Geschichte und eng miteinander verbundener Volkswirtschaften getrennte, unabhängige Staaten bleiben. Die deutsche Führung hielt diese Situation für unnatürlich.

Am 12. Februar 1938 ging der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zu Verhandlungen mit Hitler. Er wurde gezwungen, ein Drei-Punkte-Ultimatum zu unterschreiben: Die Außen- und Militärpolitik seines Landes hängt nun von der deutschen ab; das österreichische Strafverfolgungssystem kommt unter die Kontrolle der Nazis; und diejenigen von ihnen, die inhaftiert sind, unterliegen der Amnestie.

Aus Glückwünschen anlässlich Purim, der österreichischen Zeitung „Jüdische Presse“, 11. März 1938:

„Die schwierige internationale Lage begünstigt das Handeln jener Menschen, deren Sterne nur nachts aufgehen. Die Macht der Gerechtigkeit, Moral, Ethik, Menschlichkeit sind nur noch modische, bedeutungslose Modewörter geworden. Die Welt beugt sich vor Säbelrasslern und Einschüchterern… Verträge – diese Zettel, die Rechte feierlich garantierten – sind nicht mehr gültig.

Zu Hause angekommen rief Kurt Schuschnigg eine Volksabstimmung an. Er forderte die Österreicher auf, für die Unabhängigkeit von Deutschland zu stimmen. Die Veranstaltung war für den 13. März 1938 geplant. Kurz vor der Abstimmung begannen die Deutschen, Truppen an die österreichische Grenze zu ziehen.

Aus einem Bericht von Reuters-Korrespondenten aus München, wie von der norwegischen Zeitung Velgeren vom 11. März 1938 berichtet:

„Tausende deutsche Soldaten marschieren zur österreichischen Grenze. Es gibt sowohl Infanterie als auch Feldartillerie. Menschen, die in der Nähe der Nationalstraßen leben, sagen, die Armee sei die ganze Nacht entlang marschiert. In den Grenzgebieten beschlagnahmt das Militär Pferde und Esel gewaltsam.“

Aus einem Bericht eines Korrespondenten der sowjetischen Zeitung „Prawda“ vom 12. März 1938:

„Teile des 7. deutschen Armeekorps, bestehend aus drei Divisionen mit Feldartillerie, Panzern, Flugzeugen, technischen Einheiten und Übergangseinrichtungen, wurden an die österreichische Grenze vorgeschoben, um das deutsche Ultimatum an die österreichische Regierung zu verstärken … Alle Fahrzeuge wurden requiriert die Verlegung von Truppen in München – Autos, Stadtbusse und private Lastwagen.

Erster Tag: Neues Ultimatum und Invasion

Am 11. März 1938 stellte Hitler neue Forderungen an die Österreicher – die Abschaffung der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit und den Rücktritt des Kanzlers. Kurt Schuschnigg kam dem nach. In der Nacht zum 12. März drangen deutsche Truppen in Österreich ein. Es wird angenommen, dass sie keinen einzigen Schuss abgefeuert haben.

Aus dem Artikel “Österreich: Hitler kehrte nach Hause zurück, Bismarcks Traum wurde wahr” der amerikanischen Newsweek vom 21. März 1938:

„Um 7:45 Uhr wurde die Musiksendung von Radio Wien unterbrochen … Das Programm wurde mit dem Dröhnen von Beethovens erster Symphonie fortgesetzt … Dann um 11:45 Uhr hallte ein grummelnder Klang einer Flöte durch die Luft, die nördlichen Trommeln donnerten mit harschen Stimmen „Das Lied des Horst Wessel“. Deutsche Truppen überschritten die Grenze bei Salzburg.”

Aus dem Artikel „Österreich ist weg!“, französische Zeitung Le Figaro, 12. März 1938:

Ende von Österreich. Hakenkreuze werden in Wien, Innsbruck, Graz und Linz geflogen. Es war Österreich. Das Land war nie Gewalt ausgesetzt, aber sein Schicksal hat sich heute bewahrheitet. Deutschland ließ keine Volksabstimmung zu, in der endlich der Wille der Mehrheit des Volkes zum Ausdruck gebracht werden sollte. Bundeskanzler Schuschnigg war der Einzige, von dem die Lage abhing. Er selbst gab dies bei einem herzzerreißenden Abschied von seinem Volk zu. Er hat kein Blut vergossen, er hat sein Land nicht an die Kommunisten verkauft … “Ich habe durch Gewalt verloren”, sagte er.

Zweiter Tag: Der Triumph des Führers

Am 12. März 1938 trat der deutsche Bundeskanzler Adolf Hitler in Österreich ein, das formal noch als unabhängiger Staat galt. Während der Reise besuchte er seine Heimatorte Braunau und Linz.

Aus dem Artikel „Hitler kehrt nach Hause zurück“, der amerikanischen Zeitschrift Time vom 21. März 1938:

„Moderner Cäsar“ – so nannte die Weltpresse Hitler vergangene Woche, die immer ein nobles Klischee findet. Caesars Triumphwagen war sein üblicher großer schwarzer Mercedes-Benz. Wie üblich fuhr er neben seinem Chauffeur, als er seine Heimat Österreich betrat, begleitet von einer zwei Meilen langen Prozession der deutschen Armee, Sturmtruppen, sechs Panzern und deutschen Bombern, die den Himmel verdunkelten.

Die Österreicher riefen: “Wir treffen unseren Führer!”, “Ein Führer – ein Reich.” Viele fielen auf die Knie, als der Mercedes vorbeifuhr, und krochen dann die von den Rädern hinterlassenen Spuren entlang und sammelten die österreichische Erde, die von scharfen deutschen Raupen gesprengt wurde.

Inzwischen haben die Nazis (meistens Österreicher) in den Fabrikbezirken in ganz Österreich Arbeiter mit kommunistischen oder sozialistischen Ansichten bis zur Hüfte ausgezogen und sie mit neunschwänzigen Peitschen ausgepeitscht. Knaben wurden im Wiener Judenviertel ausgepeitscht, alten Männern tränten die Augen, wenn ihnen die Bärte ausgerissen wurden. Die Nazis haben jüdischen Frauen ins Gesicht gespuckt, und fast jeder, egal ob Jüdin oder Arier, wird bald anfangen, ein Hakenkreuz zu tragen.

Aus dem Artikel „Hitler at home“, der britischen Zeitung The Guardian, 14. März 1938:

„Das letzte Mal, dass Herr Hitler seine Heimat besuchte, war 1923. Sichtlich gequält soll er gewesen sein, als er um 15.30 Uhr bei Brannau am Inn, wo er geboren wurde, die Grenze überquerte. In Linz wurde er von Dr. Seyß-Inquart empfangen, der feststellte, dass die Deutschen nun zueinander gefunden hätten, dass sie endlich vereint seien und in jeder Schlacht zusammenhalten würden – als ein Volk. Nach schwierigen Jahren sind die Menschen nun für immer frei. Artikel 88 des Friedensvertrages, der die Vereinigung der beiden Länder verbot, wurde ungültig. Die Armee marschiert und beweist der ganzen Welt die Richtigkeit dieses Deutschen.

Dritter Tag: Wiedersehen

Am 13. März 1938 unterzeichnete der Nationalsozialist und neu ernannte österreichische Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart das österreichisch-deutsche Wiedervereinigungsgesetz. Die internationale Reaktion auf den Anschluss war sehr zurückhaltend. Er wurde offiziell von der UdSSR, Chile, Spanien und China verurteilt.

Aus einem Artikel der britischen Zeitung Daily Express in der Präsentation der sowjetischen Zeitung Prawda vom 15. März 1938:

„Die Eroberung Österreichs durch Deutschland ändert nichts. Schließlich war Österreich schon deutsches Territorium, bevor Hitler seine Armee dorthin verlegte. Es geht England nichts an, ob Hitler Österreich betrat oder verließ. Wir müssen uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern.”

Aus dem Memorandum des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR Maxim Litvinov an Joseph Stalin vom 14. März 1938:

„Die Eroberung Österreichs scheint das größte Ereignis seit dem Weltkrieg zu sein, das mit den größten Gefahren verbunden ist, nicht zuletzt für unsere Union. Dieses Ereignis zu verschweigen und völlig passiv zu bleiben, ist mit unserer Friedenspolitik und unserer Position im Völkerbund unvereinbar.

März: Proteste und Pogrome

Bald begannen in ganz Österreich Pogrome, die Verfolgung von Antifaschisten, Anschlussgegnern und Juden.

Aus dem Artikel „Zerstörung der Unabhängigkeit Österreichs“, der sowjetischen Zeitung „Prawda“, 14. März 1938:

„200.000 deutsche Soldaten in Österreich. Massenverhaftungen gehen weiter … Starke Polizeikommandos, faschistische SA und Truppen werden in den Arbeitervierteln Wiens und anderer Städte konzentriert. Die Presse berichtet über Schläge auf Arbeiter, die verdächtigt werden, mit Antifaschisten zu sympathisieren. In Galleine brachen in den Salzminen antifaschistische Streiks aus. Die Streiks werden von der Truppe niedergeschlagen.“

Aus Stefan Zweigs Buch “Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers”, 1941:

„Das Testament wurde zum unbegrenzten Missbrauch einer Person gegeben … Unschuldige wurden wie Hasen auf der Straße gefangen und in die SA 1-Kaserne geschleppt, um die Nebengebäude zu reinigen; alles, was der quälend schmutzigen, unkontrollierbar bösartigen Phantasie zuvor nachts in der Nacht vorkam, lief jetzt am helllichten Tag Amok. Dass die Nazis in Wohnungen einbrachen und Frauen, die vor Angst zitterten, Ohrringe abrissen, war nicht neu. Stadtüberfälle fanden bekanntlich vor Hunderten von Jahren während mittelalterlicher Kriege statt; aber hier gab es eine schamlose Ekstase vor öffentlicher Folter, seelischer Folter, raffinierten Demütigungen … Früher hätte das, was im unglückseligen Wien geschah, für einen internationalen Boykott gereicht; 1938 schwieg das Weltgewissen oder murmelte nur noch leise.

Aus dem Artikel “Juden werden nicht mehr gebraucht”, Vorarlberger Tagblatt vom 18. März 1938:

„Diese volksfremden Elemente verlassen das Land, seit ihnen in Österreich der Boden für ihre müßige und unredliche Lebensweise genommen wurde. Es muss nicht betont werden, dass die „große Völkerwanderung“ … von heimattreuen Menschen begrüßt wird. Weniger erfreulich ist, dass immer noch versucht wird zu retten, was zu retten ist. Dank der jüngsten, aber sehr strengen Kontrollen in Feldkirch (die so sorgfältig durchgesetzt werden, dass internationale Züge mehrere Stunden Verspätung haben), ist es möglich, in den ersten Tagen erhebliche Kapitalgüter zu beschlagnahmen und für das deutsche Volk zu behalten. Bei einer am Bahnhof Feldkirch durchgeführten Kontrolle wurden am 16. März vor 12.00 Uhr Gelder und Finanzanlagen in Höhe von insgesamt 121.353 Schilling beschlagnahmt.“

April: neues Referendum

Die Deutschen sagten das österreichische Unabhängigkeitsreferendum ab und organisierten stattdessen ein eigenes. Es fand am 10. April 1938 statt. In Österreich stimmten 99,75 % für den Anschluss, in Deutschland 99,08 %. Der Häkchenkreis für den Anschluss befand sich im Zentrum des Stimmzettels und übertraf die Größe des Kreises gegen den Anschluss deutlich.

Aus „The Rise and Fall of the Third Reich“ von William Shearer, CBS-Korrespondent in Deutschland, 1960:

„Es war klar, dass die Mehrheit der Österreicher, die am 13. März Ja zu Schining (und der Unabhängigkeit von Deutschland) gesagt hätten, am 10. April Ja zu Hitler sagen würden.“

Aus dem Artikel „Die Deutschen aus England sagten „Ja“. Sonderfahrt übers Meer, amerikanisches Magazin Life, 2. Mai 1938:

„(Österreicher und Deutsche, die im Vereinigten Königreich leben) haben in 99,4 % der Fälle mit Ja geantwortet, verglichen mit 99,08 %, die an diesem Tag in Großdeutschland eingegangen sind. Diese erschreckenden Prozentzahlen sind trotz erwiesener Fälschungen größtenteils ehrlich und zeigen die wahre Wirksamkeit der Nazi-Demagogie. Viele Soziologen glauben, dass sie jeden täuschen kann, wenn sie die logischen Deutschen täuschen kann. Das Geheimnis besteht darin, nicht zu Einzelpersonen zu sprechen, sondern zu den Massen.“

Folgen: Glaube an Unbesiegbarkeit

Einige Forscher nennen den Anschluss einen Prolog zum Zweiten Weltkrieg. Es wird angenommen, dass die Leichtigkeit, mit der es durchgeführt wurde, die Nazis zu weiteren Gebietsgewinnen angespornt hat.

Aus dem Erinnerungsbuch des Vizekanzlers des Dritten Reiches Franz von Papen „Vizekanzler des Dritten Reiches. Erinnerungen eines Politikers des Nationalsozialismus. 1933-1947″:

„Hitler führte den Anschluss gewaltsam durch, und trotz aller Warnungen und düsteren Prophezeiungen erwies sich der von ihm gewählte Weg als der direkteste und erfolgreichste. Zwischen den beiden Staaten kam es nicht nur nicht zu einem bewaffneten Konflikt, sondern auch keine der ausländischen Mächte hielt es für möglich, einzugreifen. Sie nahmen dieselbe passive Haltung ein wie zur Zeit der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland oder der Remilitarisierung des Rheinlandes. Infolgedessen hörte Hitler nicht mehr auf den Rat all derer, die von ihm Mäßigung in seiner Außenpolitik wollten.

Ignat Woronzow


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